Dreiviertelmond


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Christian Zübert (Germany 2012)
91 min
Deutsch

SALU/DVD/DVM/SF


Trailer


Der Schock sitzt tief bei Hartmut Machowiak, als ihm seine Frau nach 30 Ehejahren unterbreitet, dass sie sich scheiden lässt. Plötzlich muss der penible, überkorrekte und meist missgelaunte Taxifahrer, der nichts so sehr hasst wie Veränderungen, sein Leben neu ordnen. Da ist es wenig zuträglich, als eines Tages die sechsjährige Hayat, die kein Wort Deutsch spricht, allein in seinem Taxi auftaucht und nicht mehr von seiner Seite weicht. Notgedrungen nimmt Hartmut die Kleine bei sich auf und macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter.

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Mit der zärtlichen, tief bewegenden Culture-Clash-Tragikomödie liefert der aktuelle zweifache Grimme-Preisträger Christian Zübert sein bis dato bestes Leinwandstück ab.


Als Drehbuchautor und Scriptdoktor war Christian Zübert schon immer eine Bank. Aber jetzt hat der Filmemacher, dessen Kiffer-Komödie "Lammbock" längst Kultstatus besitzt, einen richtigen Lauf. Nach dem doppelten Grimme-Coup als Regisseur (für den Tatort "Nie wieder frei sein") und als Autor (für "Neue Vahr Süd") bringt er sich 2011 auch auf der Leinwand in Position - sowohl für einen Publikumserfolg als auch für noch zu verleihende Filmpreise. "Dreiviertelmond" besitzt alle Ingredienzien für eine mitreißende Tragikomödie, die gleichermaßen berührt wie amüsiert, zum Nachdenken animiert, zuweilen auch schockiert, dabei aber immer auch eine Lanze für Toleranz und Mitgefühl bricht. Der Film selbst ruht lediglich auf zwei Schulterpaaren, einem in Ehren gealterten und einem noch jungen, ganz zarten.

Das eine gehört Elmar Wepper, der nach seinem herausragenden Part in "Kirschblüten - Hanami" nun als grantelnder, sich selbst und seine Mitmenschen verabscheuender Taxler Hartmut eine weitere Rolle seines Lebens spielt. Das andere gehört Mercan Türkoglu als Hayat, einem sechsjährigen Berliner Naturtalent. Die Momente, in denen der deutsch parlierende Wepper und die türkische sprechende Mercan mit sturer Konsequenz aneinander vorbeireden und sich dennoch irgendwie verstehen, gehören zu den schönsten eines Films, der phasenweise sogar an Jan Sveráks eigentlich unerreichten Oscar-Preisträger "Kolya" heranreicht.

Doch Zübert gibt sich nicht damit zufrieden, den Zusammenprall der Kulturen lediglich anhand dieser beiden Protagonisten zu dokumentieren und die sentimentale Selbstfindungsreise eines Misanthropen zur One-Man-Show werden zu lassen. Er legt vielmehr auch Wert auf glaubhafte Nebencharaktere wie etwa Hartmuts (Ex-)Frau (zum Niederknien: Katja Rupé), den völlig überforderten (deutschen) Vater von Hayat oder den freundlichen türkisch-fränkischen Dönermann, der dem ungleichen Paar als Dolmetscher dient. Zudem hat man Nürnberg im Kino selten so fotogen erlebt und deren Bewohner so authentisch und (be)greifbar. Dass Zübert auch Zündstoff liefert für eine Diskussion über die kulturellen Unterschiede zwischen Türken und Deutschen, macht "Dreiviertelmond" nur umso gehaltvoller und nachhaltiger. Und wenn der alte Hartmut endlich weich wird und in einem lichten Moment zu Hayat, was übrigens "Leben" bedeutet, zärtlich "Du Zahnluckerte" sagt, ist auch im Kinosaal die Erleichterung förmlich zu spüren und die Hoffnung auf das Gute im Menschen erhält einmal mehr neue Nahrung.
(kino)


Foto auf dieser Seite: xjuggler

© H. Werner Hess 2011